The Concreted Crag of Drachenfels

Erinnerungen an eine »Bausünde«

 

Das Drachenfelsplateau im Januar des Jahres 2011. Verbogene Metallträger ragen, Monsterkrallen gleich, in den bleiernen Winterhimmel. Der Abriss des Restaurantgebäudes, materialisierter Zeitgeist der 1970er Jahre, schreitet voran. Ein »Betonbunker« wird einem eleganten Glaskubus im Gegenwartsgeschmack weichen. Apokalyptisch anmutende Bilder, die jegliche Vision von Rheinromantik überlagern.

Romantik? Es begann mit einem Skandal. Lord Byron, der exzentrische, zu erotischen Eskapaden neigende Dichter, verließ nach einer inzestuösen Affäre mit seiner Halbschwester Augusta das vordergründig sittsame England. Auf Byrons Reise durch Europa waren es schließlich der Drachenfels und die dramatische Flusslandschaft, an denen das innerlich zerrissene Genie seinen Liebeskummer abarbeitete. Das berühmte Gedicht »The Castled Crag of Drachenfels«  aus dem Jahre 1816 ist anspielungsreiches Ergebnis einer »verbotenen Liebe« und lyrischer Wegbereiter der Rheinromantik zugleich.

Ich konnte dem eindrucksvollen Felsen allerdings nie mit ungebrochener byronscher Inbrunst begegnen. Schuld war ein simpler Baustoff – Beton. Mehr als 30 Jahre lang zierte das dem brutalistischen Architekturstil (benannt nach dem Material béton brut, also Sichtbeton) geweihte Restaurantgebäude den turmgekrönten Drachenstein. Wodurch der Felsen eine unverwechselbare Aura erhielt. Brutalismus meets Rheinromantik – fast schien es, die mentale Zerrissenheit des Lords habe einen Einfluß auf die Baukultur am »Concreted Crag« gehabt.

Die Fotografien entstanden während des Rückbaus des »Betonungeheuers«. Es sind jetzt schon verschwundene Blicke auf eine faszinierende Gegenwelt, die Antithese zu naiven Vorstellungen von Landschaftsästhetik. Bilder, die nicht frei sind von Brutalität, Geschmacklosigkeit oder Ironie. Und in ihnen mag eine gewisse, vielleicht schwer verständliche Wehmut eingebrannt sein, die Trauer um den Verlust einer merkwürdig deplatzierten Landmarke.

Also keine Romantik auf dem betonierten Drachenfels? Die atemberaubende Ausstrahlung der Rheinlandschaft, die Magie der Wolkenbilder über dem Siebengebirge konnte der Sichtbeton nicht abschirmen. Selbst in der wüstesteten Abbruchszenerie kämpften sich, und wenn nur fetzenhaft, die Verse des unglücklich Liebenden durch den Maschinenlärm. Ein ausschnitthafter Blick in das Rheintal genügte zur Inspiration, und mir kamen die Visionen des Lords in den Sinn. Schließlich: süß und artig war die byronsche »schwarze«, emotionale Verunsicherung zelebrierende Romantik nie. Und inmitten der Trümmer einer Touristenfalle umfing mich die Morbidität der Ruinenmalerei des 19. Jahrhunderts.

»The Concreted Crag«, Fels der widersprüchlichen Assoziationen. Die Verse Byrons lassen Vorstellungen von Sehnsucht oder Seele anklingen. Hehre Begriffe, an die sich desillusionierende Gedanken anlagern, die von der Anmutung der bröckelnden Sichtbetonarchitektur beflügelt werden. Visionen von Asbest, Currywurst und Chaos, aber auch stille Betrachtungen zum Verhältnis von Natur und Kultur gehen nicht mehr aus dem Sinn.
In dieses assoziative Mosaik drängen sich Vorstellungen, die mit der mythisch aufgeladenen Rheinlandschaft untrennbar verbunden sind, vom Idyll über die Heimat zur Kitschpostkarte. Der »Genius Loci« des betonierten Drachenfels erscheint als eine Welt der Widersprüche und Doppeldeutigkeiten. Was ist der Skandal? Die Beziehung zu Augusta Leigh? Die Baukultur? Wer ist der Narr? Ein verliebter Lord oder der Mensch mit seinem gnadenlosen Naturverbrauch?

Erstaunlich bleibt, bei aller Verwirrung, die Unzerstörbarkeit des Konzepts »Romantik«, zumindest als inneres Bild, Brutalismus hin oder her. Es spricht Sehnsüchte an, die fest in der menschlichen Psyche verankert sind, dauerhafter als Beton. Die Vision von der herrlichen Rheinlandschaft bleibt, selbst wenn der eigentliche »Hauptakteur« der Landschaftsseligkeit, die Natur, unter die betonselige Dampfwalze gerät.

Romantik ist eben auch ein Programm zur Flucht aus der Realität.

 

Links

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